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Neuer Wirkstoff gegen Alzheimer

Rund 1,2 Millionen Menschen in Deutschland leben derzeit mit der Diagnose Alzheimer. Im Jahr 2050 werden es fast zwei Millionen sein. Mit Lecanemab und Donanemab kommen jetzt Medikamente auf den Markt, die erstmals eine „kausale“ Wirkung gegen das Leiden – also eine Wirkung gegen die Ursache der Erkrankung – aufweisen. Sind die großen Erwartungen gerechtfertigt, die auf der Therapie liegen?

Lecanemab wurde im Juli 2023 in den USA zur Therapie von Alzheimer zugelassen, für Donanemab ist die Zulassung bei der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA beantragt. Wann die Zulassung für die EU und Deutschland erfolgt, ist derzeit noch nicht bekannt.

Wirkungsweise der neuen Medikamente

Lecanemab und Donanemab sind Antikörper, die sich gegen schädliche Eiweiß-Ablagerungen im Gehirn richten. Diese sogenannten Amyloid-Plaques gelten als mitverantwortlich für die Alzheimer Demenz. Die Ablagerungen entstehen über einen langen Zeitraum hinweg aus falsch gefalteten Eiweißen, sogenannten Beta-Amyloiden. Die Antikörper heften sich an eine bestimmte veränderte Form der Beta-Amyloide. Immunzellen im Gehirn bauen dann die schädlichen Plaques zusammen mit den Antikörpern ab.

Studien zur Wirksamkeit

Die Medikamente sind zwar nicht die ersten ihrer Art, im Gegensatz zu allen vorigen Medikamenten scheint die neue Arznei aber tatsächlich einen messbaren Effekt zu haben.

Beispiel Lecanemab: In einer großangelegten Studie schnitten Alzheimererkrankte, die das Mittel bekamen, nach 18 Monaten in Gedächtnistests messbar besser ab als Erkrankte, die ein Scheinmedikament erhielten. Und Untersuchungen wiesen nach, dass die schädlichen Ablagerungen im Hirngewebe weniger wurden. Unter der Medikamentengabe konnte bei den Probanden während eineinhalb Jahren der geistige Abbau um gut ein Viertel verzögert werden.

Beispiel Donanemab: Eine aktuelle Studie mit mehr als 1320 Alzheimererkrankten in einem frühen Krankheitsstadium hat gezeigt, dass Donanemab die Beta-Amyloide im Gehirn bei vielen fast vollständig abbaut. Nach 76 Wochen Therapie haben mehr als 75 Prozent der Behandelten gut darauf angesprochen im Vergleich zur Gruppe, die über den gesamten Zeitraum hinweg das Placebo erhielten. Bei ihnen war kein Abbau der Amyloid-Plaques zu beobachten.

Bei 47 Prozent der Teilnehmenden, die Donanemab bekamen, verschlechterten sich die geistigen Fähigkeiten nach einem Jahr nicht, bei der Placebo-Gruppe lag dieser Anteil nur bei 29 Prozent. Insgesamt kam es mit Donanemab zu rund 35 Prozent weniger geistigen Einbußen als mit dem Placebo. Der Krankheitsverlauf verzögerte sich im Mittel um etwa vier Monate. Die Behandelten profitierten auch nach dem Absetzen von Donanemab noch von der Wirkung des Medikaments.

Erfolg geringer als erhofft

Die Medikamentation ist nur bei Erkrankten im Anfangsstadium sinnvoll. Also Menschen, die zwar schon eine Alzheimer-Diagnose bekommen haben, aber bislang nur wenige geistige Einschränkungen bei sich feststellen.

Die Erkrankung wird durch die beiden Medikamente weder gestoppt noch geheilt. Der Verlust von Erinnerung oder Orientierungsvermögen schreitet mit der Behandlung weiter voran -nur eben etwas langsamer als ohne die neuen Medikamente.

Fachleute deuten daher die Studienergebnisse zwar als einen wichtigen Schritt in der Alzheimerforschung, warnen aber vor zu viel Euphorie. Auch wenn die Wirkung für den Einzelnen nach 18 Monaten kaum spürbar ist, besteht die Hoffnung, dass die Effekte über längere Zeiträume anhalten. Das wurde bislang jedoch noch nicht belegt.

Zu Bedenken sind auch die Nebenwirkungen: Beide Medikamente können Schwellungen und Blutungen im Gehirn verursachen, vor allem mit der gleichzeitigen Einnahme von Gerinnungshemmern.

Und nicht zuletzt ist die Behandlung auch eine Kostenfrage. Wie viel genau zum Beispiel Lecanemab in Deutschland kosten würde, kann man zwar noch nicht sagen. In den USA kalkulieren die Hersteller jährlich 26 500 US-Dollar, also rund 25 000 Euro. Dazu kommen Kosten für die nötigen Untersuchungen, insbesondere die Bildgebung, und für medizinische Betreuung.

Die Hoffnung der Ärzte und Kliniken ist, dass Lecanemab und Donanemab einen Anstoß zur Entwicklung von weiteren Arzneien geben, die in Kombination mit anderen künftigen Mitteln das Fortschreiten von Alzheimer wirksam verlangsamen und den Verlauf der Krankheit hinauszögern.

Der Weg dorthin mühsam und teuer. Mehr als 25 Medikamente wurden zuletzt an Menschen auf Wirksamkeit geprüft – oft ohne Erfolg. Viele Milliarden haben klinische Studien zur Alzheimer-Forschung bisher verschlungen. Fast alle getesteten Medikamente setzen bei der Plaque-Bildung an. Doch obwohl einige Mittel den Eiweißmüll reduzieren, war bislang kein Effekt auf den Krankheitsverlauf nachweisbar.

Verschiedene Therapieansätze gegen Alzheimer

Therapien gegen den Eiweißmüll im Gehirn: Viele Wirkstoffe zielen auf die „Amyloid-Kaskade“: Bei Alzheimer entstehen aus dem normalen Eiweiß der Nervenzellen kleinere Stücke, die verklumpen und typische, unlösliche „Plaques“ bilden. Manche Arzneien sollen die Scheren blockieren, die das normale Eiweiß zerkleinern. Andere sollen die Beläge auflösen. Lecanemab und Donanemab binden die noch löslichen Klumpen und ermöglichen deren Abbau.

Therapien gegen Entzündungen im Nervengewebe: Immunzellen im Gehirn bekämpfen Infektionen, räumen defekte Eiweiße und Zellreste ab und sorgen dafür, dass die Verknüpfungen zwischen Nervenzellen intakt bleiben. Es gibt mittlerweile deutliche Hinweise, dass eine dauerhafte Aktivierung dieser Immunzellen an der Entstehung von Alzheimer beteiligt ist. Auch gegen diese „Neuro­in­flammation“ werden Wirkstoffe gesucht.

Therapien gegen Eiweißmüll innerhalb der Nervenzellen: Auch in den Nervenzellen bilden sich bei Alzheimer Eiweißklumpen, die Tau-Fibrillen. Sie stören die Funktion der Nervenzellen. Einige potenzielle Wirkstoffe sollen die Bildung der Fasern verhindern oder sie auflösen.

Therapien für eine bessere Reizübertragung: Eine gestörte Reizübertragung zwischen Nervenzellen erschwert die Gedächtnisbildung. Antidementiva können diese Folgen von Alzheimer linder. Sie blockieren Botenstoffe oder verhindern deren Abbau, was die Reizübertragung bessert. Den Krankheitsverlauf verzögern sie nicht.

Erfolg ist ein Zusammenspiel vieler Faktoren

Lecanemab und Donanemab zeigten jetzt erstmals eine Wirkung. Dass sie den Krankheitsverlauf nicht deutlicher stoppen können, liegt vermutlich daran, dass Alzheimer eben mehrere Ursachen hat. Amyloid gehört nach Ansicht der Neurobiologen dazu, Eiweißklumpen im Inneren der Nervenzellen spielen ebenfalls eine Rolle. Entscheidend könnte aber ein dritter Mechanismus sein – nämlich Entzündungen des Nervensystems. Arzneien gegen diese Prozesse sind in Entwicklung.

Das Gute aber ist, dass jeder schon jetzt etwas gegen Entzündungen tun und sein Alzheimerrisiko senken kann: Bewegung ist wegen der antientzündlichen Effekte ein gutes Mittel der Prävention.

Behandlung in spezialisierten Ambulanzen

Sollten die neuen Medikamente auch in Deutschland zur Behandlung zugelassen werden, wird dies voraussichtlich nur in spezialisierten Ambulanzen erfolgen. In der hausärztlichen Praxis gibt es keine Kapazitäten für die zeit- und betreuungsintensive Behandlung, da das Medikament alle zwei Wochen per Infusion in die Vene verabreicht werden muss. Außerdem sind zur Kontrolle regelmäßige Bildgebungen des Gehirns nötig. Rund 170 dieser Ambulanzen gibt es in Deutschland, die meisten davon in den westlichen Bundesländern. Sie sind zugleich die Anlaufstellen für eine frühe Diagnose, die Voraussetzung für die Therapie ist.

Zurzeit forschen Wissenschaftler auch intensiv auf dem Gebiet der Früherkennung von Alzheimer durch Blutmarker. Wenn diese zum Einsatz kommen, dann können auch hausärztliche Praxen Verdachtsfälle auf Alzheimer gezielt erkennen und die Patienten zu Spezialisten überweisen.

Ein allgemeines Screening der älteren Bevölkerung halten Experten für Demenzforschung derzeit nicht für sinnvoll. Erst dann, wenn man über einen besseren Wirkstoff verfügt und die Ursache von Alzheimer angehen kann, könne darüber nachgedacht werden.

Mehr zum Thema Alzheimer erfahren Sie in unserer Ratgeberbroschüre.

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